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«Weisst du wie viel Sternlein stehen…?» – Euclid soll es richten

Verfasst von Urs Scheidegger |

Ja, wenn man das nur wüsste. Laut Bibel ist das «Zählen» Chefsache, also Gott vorbehalten. Nichtsdestotrotz richten seitdem Sternengucker und -zähler aller Art den Blick gen Himmel. Neben Religion und Astrologie ist nach wie vor die Astronomie um eine eher romantikbefreite Antwort auf die Frage nach der Anzahl Sterne bemüht.

Mutmassungen über die Sternenmenge unterm Himmelszelt gibt es seit Menschengedenken. Gemäss Altem Testament ist das «Zählen» ein göttlicher Herrschaftsakt, der Sinn des allseits bekannten Volksliedes dürfte die christliche Gemeinschaft eher bewusst als unterbewusst spätestens seit 1837 umtreiben, als ein evangelischer Pfarrer und Dichter, Wilhelm Hey (1789–1854) mit Namen, eine Volksweise aus dem Jahre 1818 mit dem Werweissen über die Sternenzahl betextete: «Weisst du wie viel Sternlein stehen…?». Die Volksliedforschung reiht denn auch das Lied unter die Rätsellieder ein, zumal beim strophenweise repetitiv fiktiven Frage-Antwort-Spiel auf die Frage «Weisst du, wie viel …» manisch rhetorisch Nachfragen nachgeliefert werden wie «…Mücklein spielen?», «…Kinder schlafen?» oder auch «Träume kommen?»

Nun gut, schon Kurt Tucholsky machte sich über das Gedicht von Gottesgnaden lustig. Wie dem auch sei. Fest steht, dass sich die Astronomie schon länger mit der Sternenzahl beschäftigt und bislang die Frage «Weisst du wie viel Sternlein stehen?» keck mit 1022 beantwortet. Weil die Astronomen davon ausgehen, dass das sichtbare Universum1) aus 1011 Galaxien mit jeweils 1011 Sternen (Sonnen) besteht. Nur sichtbar vom Universum sind gerade mal 5 Prozent, also müssen da viel mehr Sterne und Sternlein sein.

Hier kommt Euclid ins Spiel, eine Sonde des gleichnamigen ESA-Projektes. Das nach dem antiken Mathematiker Euklid von Alexandria benannte Weltraumteleskop soll vom 1,5 Millionen Kilometer entfernten Lagrange-Punkt L2 zwischen Erde und Sonne den Himmel sechs Jahre lang scannen und die Messdaten zur grössten jemals durchgeführten kosmologischen Durchmusterung im sichtbaren und nahen Infrarot-Bereich zusammenfassen. So viel weiss man schon jetzt: Die Helligkeit der Milchstrasse verhindert schon jetzt, dass das ESA-Teleskop namens Euclid mehr als 35 Prozent des Himmels abdecken kann.

Da wären noch andere Geheimnisse, die Euclid lüften soll:

  • Wesen der dunklen Energie
  • Wesen der dunklen Materie
  • Veränderung der Expansion des Universums im Laufe der Zeit
  • Richtigkeit des Verständnisses von Schwerkraft
  • Struktur und Geschichte des kosmischen Netzes

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1) Sehen kann man auf der Nordhalbkugel der Erde mit blossem Auge und klarem Himmel etwa 3000 Sterne. Auf der Südhalbkugel um die 3500. So sind es etwa 6500 Sterne, die bei klarer Sicht mit blossem Auge durchschnittlich guter Sehkraft erkannt werden können («freisichtig» im astronomischen Sinne, Grössenklasse über 6,8 mag).  Die scheinbare Helligkeit wird in mag (für Magnituden) angegeben. Sterne mit kleineren mag-Werten werden dabei als heller wahrgenommen als Sterne mit grösseren mag-Werten. Die Skala der scheinbaren Helligkeiten basiert auf einem logarithmischen Zusammenhang. Als Nullpunkt dient die scheinbare Helligkeit des Sterns Wega.

News - © Urs Scheidegger 1995 - 2024

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