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Am Rande der Sprachlosigkeit: Über Peter Weibels Prosastücke und den Ammann Verlag

Verfasst von Urs Scheidegger |

Im Ammann-Verlag ist «Schmerzlose Sprache» des Schriftstellers und Arztes Peter Weibel erschienen: eine Consolatio medica, wenn man denn so will.

Eine literaturkritische Bauernregel besagt: je marktschreierisch der Klappentext, desto vorsichtiger im Umgang mit dem Inhalt, auch mit demjenigen des Buches. Peter Weibel, wohnhaft in Oberbalm und von Beruf Arzt, kündigt seine erste Buchveröffentlichung «Schmerzlose Sprache» bescheiden und edel zugleich an: «Schreiben als Notwendigkeit, als Zwang; als pure Freude auch, wenn einmal etwas gelingt - Schreiben als Bedürfnis nach Zwiesprache» sinniert er auf dem Klappentext und resümiert: «Arztsein und Schreiben führt zuletzt zum selben Ziel, zu der Suche nach dem Menschen, dem Menschsein.» Ketzerische Frage: Was ist mit denen, die weder schreiben noch Arzt sind? Aber zurück zum Werk beziehungsweise erst zum Verlag, in dem es erschienen ist.
Egon Ammann hat im letzten Jahr einen eigenen Verlag gegründet, dessen erster Titel «Die Tessinerin» von Thomas Hürlimann (als vorgezogene Leseprobe schon am Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt positiv aufgefallen) für einen bemerkenswerten Einstand gesorgt hat. Mittlerweile hat sich Ammann als Kolumnist in einem Buchmagazin eine Platitude zuschulden kommen lassen, die in ihrer biblischen Einfachheit nicht ohne weiteres hingenommen werden kann. «Das einzig zulässige Unterscheidungskriterium zwischen Buch und Buch ist: gut oder schlecht», steht da gleich zweimal zu lesen. Im übrigen aber hält er die «Klassifizierungs- und Unterscheidungsmerkmale, sosehr sie den arbeitsbedingten Umgang mit Büchern etwa im buchhändlerischen Bereich vielleicht erleichtern helfen, für sinnlos». Gar so sorglos lässt sich nun auch wieder nicht über Sinn und Unsinn befinden. Zugegeben, die Gut-Schlecht-Dichotomie als reduzierteste Form literarischen Wertens und allenfalls als Endprodukt des Wertungsvorganges zu verstehen, hat insofern seine Berechtigung, als zumindest einmal die unüberschaubare Flut von Publikationen zweigeteilt wird. Entscheidend nun aber ist: Welche Bücher gut und welche schlecht sind, sollte weniger eine Frage des Zufalls und der persönlichen Neigung als vielmehr eines mehr oder weniger transparent gemachten Begründungsverfahrens sein. Dabei ist es oft unumgänglich, auf bereits Bekanntes und dessen Qualitäten zurückzugreifen, das in Frage Stehende zu relativieren und so dem Neuen den ihm gebührenden Stellenwert in etwa zuzuweisen, ohne dabei Absolutheit anstreben zu wollen. Ein recht anspruchsloses, aber nichtsdestoweniger wirksames Verfahren ist eine Gegenüberstellung dessen, was von Verlagsseite oder auf dem Klappentext angekündigt wird, und dem, was der Autor tatsächlich einlöst. Oder auch: Worin die kreativen Eigenleistungen eines Autors bestehen und wo er -bewusst oder unbewusst - allenfalls auf Bekanntes zurückgreift.
Zweifel über die Kommunizierbarkeit menschlichen Empfindens und Leidens ziehen sich einem Leitmotiv gleich durch die sechzehn Prosastücke in Weibels «Schmerzloser Sprache», was zwar kein Novum (die Frage nach der Hintergeh-barkeit der Sprache kennt sowohl in der Literatur wie in der Philosophie eine lange Tradition), aber insofern bemerkenswert ist, als nicht wie etwa bei Gedichten Gottfried Benns menschliches Leiden und körperlicher Zerfall mit einer geradezu exzessiven und durch den Arzt. beruf geschulten Genauigkeit ausgekostet werden, sondern bei Weibel eher die Harmonisierung des Erlebten als Kunstprodukt im Vordergrund steht. «Ich suchte die Gegenüberstellung von Blau und Orange, Rot und Grün, Gelb und Violett, suchte gebrochene und neutrale Töne, um harte Gegensätze auszugleichen» lässt Weibel durch die Worte Vincent van Goghs den Leser wissen und vermittelt dadurch eine Vorahnung seiner auf Visualität hin angelegten Sprache, die im letzten Stück «Dorfbild nach van Gogh» am wirksamsten zur Geltung kommt.
Auf einen Nenner gebracht: Vor dem Hintergrund gut expressionistischer Ausdrucksformen begeht Weibel in den sechzehn Prosastücken, die ebensogut Lyrik sein könnten, eine Gratwanderung am Rande der Sprachlosigkeit, die darauf abzielt, Schönheiten und Leiden humaner Existenz mildernd in harmonischen Bildern zu fixieren, um so nach und nach dem Menschsein auf die Spur zu kommen. Dies alles in Worten, die nicht schmerzen, aber oft recht Schmerzliches und Wehmütiges suggerieren. Würde, was hier exemplarisch so wort- und empfindungsreich vorgesetzt wird, stets und überall Eingang in den Praxis-Alltag finden, wären Patienten mehr als nur ihrer fachmedizinischen Betreuung gewiss - eine Consolatio medica, eine Art Trost aus der Arztpraxis.
Urs W. Scheidegger (Peter Weibel, Schmerzlose Sprache, Ammann Verlag 1982)

Publikation in Solothurner Zeitung/Grenchner Tagblatt/Langenthaler Tagblatt/Berner Rundschau

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