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Rinks und lechts bitte nicht velwechsern: Zu einer Ausstellung in Basel

Verfasst von Urs Scheidegger |

Hat recht, wer rechts ist? Ist link, wer links ist – oder wird hier wieder einmal etwas verwechselt, so wie man nichts leichter zu verwechseln scheint als rechts oder links? Rechts oder links, klug oder nicht, gut oder schlecht dass Entscheidungen, wurden sie erst einmal getroffen, nicht ohne weiteres wieder rückgängig gemacht werden, lehrt nicht nur das Leben, man spürt es auch in einer Ausstellung, die in Basel zu sehen ist.

Es gibt zwei Gruppen von Menschen. Die einen glauben, dass es zwei Gruppen von Menschen gibt, die anderen glauben es nicht. Das ist die logisch erste Zweiteilung. Die biologisch erste ist die von Mann und Frau. Und dann gibt es noch die Sache mit dem Links- oder Rechtsdrall. Das fängt zum Beispiel beim Telefonieren an. Wer nicht glauben will, dass dies ein Forschungsgegenstand sein kann, sei auf die zwei wegweisenden Studien aus den achtziger Jahren verwiesen: W. W. Surwillo: «Ear asymmetry in tele-phonelistening behavior» und J. Seeman, W. W. Surwillo: «Ear preference in telephone listening».
Für die erste Studie wurden 337 Probanden willkürlich aus dem Telefonbuch herausgesucht. Sie sollten angeben, an welches Ohr sie den Hörer bevorzugt halten. Knapp zwei Drittel nannten das linke Ohr. Gibt es eine Erklärung? Eine Hypothese lautet so: Die meisten Menschen sind Rechtshänder. Von ihnen möchte wiederum die Mehrheit auch beim Telefonieren die bevorzugte Hand frei haben – zum Schreiben, Kritzeln, Rauchen. Gestikulieren.

Yin und Yang
Der Zusammenhang zwischen rechts und gut einerseits und links und schlecht andererseits mag weltweit verbreitet sein. Doch Ausnahmen gibt es, wie immer und überall auf der Welt. Die wichtigste Ausnahme von der Regel ist China. Auch unter den Chinesen sind ungefähr neunzig Prozent der Bevölkerung Rechtshänder und zehn Prozent Linkshänder. Genauso wie anderswo werden Linkshänder dort gezwungen, mit der Rechten zu essen und zu schreiben. Aber anders als bei uns hat das nichts mit einer negativen Einstellung zur linken Seite zu tun. Linkshänder werden nicht weniger geachtet als Rechtshänder. Ihr Weltbild ermöglicht es den Chinesen, mit den Unvereinbarkeiten ihrer Geschichte zurechtzukommen. Während unsere Symbolik auf dem Gegensatz der sich ausschliessenden Pole Gut und Böse zurückgeht, beruht die chinesische Symbolik auf dem Gleichgewicht von Yin und Yang. Zwar sind Yin und Yang in gewissem Sinne auch Gegenpole, aber ein Werturteil ist mit ihnen nicht verbunden; weder ist Yin grundsätzlich gut noch Yang grundsätzlich böse. Wichtiger ist, dass sie einander ergänzen – eben wie zwei Hände.
Gewisse praktische Folgen des Ungleichgewichtes zwischen Links- und Rechtshändern indes sind nicht zu leugnen: Fast alle Apparate, Maschinen und Geräte, von der Lokomotive bis hin zum Kartoffelschäler, sind für Rechtshänder entworfen. Es gibt Gegenstände, die für Linkshänder absolut unbrauchbar oder sogar lebensgefährlich sind: die Fischkelle, Handkreis- oder Kettensägen.

Vorteile beim Tennis
Rik Smits zieht das Fazit seiner akribischen Beobachtungen und Studien («Alles mit der linken Hand – Geschick und Geschichte einer Begabung»; Rowohlt Verlag. Berlin) eher gelassen: «Linkshänder sind bis auf weiteres einfach nur Linkshänder.» Gesicherte Daten jedenfalls, aus denen hervorgehe, dass Linkshändigkeit besondere Talente nach sich ziehe, gebe es nicht, weder zum Guten noch zum Bösen. Das einzige Gebiet, auf dem Linkshänder unumstösslich einen Vorsprung haben, sind Sportarten wie Tennis, Baseball, Boxen und Fechten. Dafür sind sie beim Hockey und beim Polo wiederum im Nachteil.
Linkshändigkeit ist seit Menschengedenken ein Rätsel, und sie werde es noch lange bleiben, schreibt der Autor in seinem Buch. Noch unendlich viel müsse geschehen, bis wir wirklich hinter den Ursprung der Rechts- und der Linkshändigkeit sowie ihrer ungleichen Verteilung kämen, bis wir begriffen, weshalb jedes Menschenwesen eine Vorliebe für eine Hand entwickle, meistens für die rechte, was Menschen von den Tieren unterscheidet; bei Tieren scheinen im Schnitt immer ungefähr gleich viele Links- wie Rechtsbeiner vorzukommen.
Wo dieses Rätsel allenfalls zu erhellen wäre, erläutert Smits in einem eigenen Kapitel. Denn die Hand beginnt gleichsam im Kopf. Der Schlüssel liege unter der Schädeldecke, meint der Autor und beschreibt eingehend diesbezügliche Studien. Aber wie das genau im Gehirn funktioniere, bleibe grösstenteils noch schleierhaft. Denn ein noch grösseres Rätsel als die Linkshändigkeit, die irgendwo in ihm zu suchen wäre, bleibt dieses Gehirn noch selbst – ungeachtet dessen, mit welcher Hand man sich an den Kopf fasst. Auf dass uns nicht doch eines Tages Erich Frieds Erkenntnis in der Wirklichkeit einholt: «Lechts und rinks kann man nicht velwechsern.»

Diverse Kabinette
Die Ausstellung im Museum für Gestaltung Basel, die bis 31. März dauert, bietet diverse Kabinette, zu denen mit Hilfe verschiedenster Rechts- oder Links-Entscheidungen gefunden werden kann – oder auch nicht. Da ist zum Beispiel ein Spiegelkabinett, das rechts oder links vertauscht, da gibt es ein Studiokino, da gibt es ein Kuriositätenkabinett, einen Musiksalon und, nicht zuletzt, ein Kabinett mit Meisterwerken der Graphik, in dem man gar keine Wahl mehr hat: ausgestellt ist periodisch immer nur ein einziges dieser Kabinettstücke. Auch die Ausstellung «Rechts oder Links» zählt zu der Ausstellungsreihe, die das Museum für Gestaltung Basel seit einiger Zeit um den Themenkreis «Wahrnehmung» herum zeigt. Auch die laterale Orientierung im Raum, die lateralen Aspekte der Wahrnehmung, die laterale Symmetrie oder Asymmetrie – sind Gestalt- und Gestaltungsprinzipien, die unsere Auffassung prägen und die unser Handeln bestimmen.

Die letzte Ausstellung
«Rechts oder Links» ist die letzte Ausstellung, die das Museum für Gestaltung als staatliche Institution veranstaltet. Und dieses Thema, sollte man annehmen, passt zu den kulturpolitischen Vorgängen im Basel der letzten Zeit, sofern sich hier überhaupt noch Kategorien wie Rechts oder Links ausmachen und anwenden lassen.

Berühmte Linkshänder

us. Trotz allen Zufällen und Lücken bringt die Liste der Linkshänder einige bemerkenswerte Tatsachen ans Licht. Interessant ist zu erfahren, dass fast alle erfolgreichen Gründer von Weltreichen Linkshänder waren.
Geschichte, Politik: Alexander der Grosse, Julius Caesar. Tiberius, Karl der Grosse, Jeanne d’Arc, Napoleon Bonaparte, Benjamin Franklin, Ronald Reagan (schreibt rechts), Bill Clinton.
Kunst: Albrecht Dürer, Leonardo da Vinci, Paul Klee. Hans Holbein, Johann Wolfgang von Goethe, Hans Christian Andersen, Heinrich Heine, Ludwig van Beethoven, Sergej Prokofjew, Benjamin Britten, Crystal Gayle. Pablo Casals, Bob Dylan, Jimi Hendrix, Paul McCartney, Charlie Chaplin, Greta Garbo, Robert de Niro, Whoopi Goldberg. Harpo Marx, Marilyn Monroe, Robert Redford. Telly Savalas.
Wissenschaft: Albert Einstein, Friedrich Nietzsche, Albert Schweitzer.
Sport: Björn Borg, Jimmy Connors, Guy Forget, Bob Charles (spielt nur linkshändig Golf), Johan Cruyff, Pelé, Marvin Hagler, Mark Spitz.
Verbrechen: Der Würger von Boston, Billy the Kid, Jack the Ripper (und – auf der anderen Seite, aber ebenfalls links: J. Edgar Hoover, Gründer des FBI).

Artikel von Urs W. Scheidegger in der Solothurner Zeitung/Grenchner Tagblatt/Langenthaler Tagblatt/Berner Rundschau

Entscheiden bitte: Links oder rechts oder gar rinks oder lechts?
Entscheiden bitte: Links oder rechts oder gar rinks oder lechts?

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