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Ein Dorf feiert seinen Dichter: Erinnerungsfeier für Joseph Joachim in Kestenholz

Verfasst von Urs Scheidegger |

Am 4. April 1834 wurde der Kestenholzer Bürger und Dichter Joseph Joachim geboren. Am Vorabend zum 4. April 1984 lud die Arbeitsgruppe «Gedenkjahr Joseph Joachim» und der Aare-Verlag Solothurn zu einer Erinnerungsfeier und Buchvernissage ein. Ein Dorf machte den Auftakt, seinen Dichter aus Anlass dessen 150. Geburtstages zu feiern.

Heimatliteratur feierte dieser Tage im Gäu Urständ. Zum 150. Geburtstag des Kestenholzer Bürgers und Dichters Joseph Joachim (1934 bis 1904), von dem sein Zeitgenosse Conrad Ferdinand Meyer einmal behauptet hat, seine Genrebilder seien «voll grosser Lebenswahrheit und mit wahrer Meisterschaft gezeichnet», ist beim Aare-Verlag ein Gedenkbuch erschienen. «Lonny und ausgewählte Erzählungen» nennt sich der 460 Seiten starke Band mit Beiträgen aus dem Lebenswerk Joachims, der zu Lebzeiten von Autoren wie eben C. F. Meyer, Gottfried Keller, Peter Rosegger, Josef Viktor Widmann, Alfred Beetschen und anderen Lob und Anerkennung für seine schriftstellerische Tätigkeit einstreichen konnte. In Zusammenarbeit mit der Universität Zürich ist eine Gesamtausgabe des Werkes Joseph Joachims geplant, der zu Lebzeiten auch der «Solothurner Jeremias Gotthelf» genannt wurde. Joachim ist ursprünglich deutscher Herkunft. Sein Grossvater stammte aus der Gegend von Trier und wanderte um 1780 als Schmiedgeselle in die Schweiz ein. Joseph Joachim, der auf Wunsch des Vaters im Gäu Bauer wurde und sich nur in Freizeitarbeit seiner eigentlichen Berufung, der Schriftstellerei, widmen konnte, begeisterte zu seiner Lebzeit die Leserschaft im ganzen deutschsprachigen Raum - mit Auflagen bis zu 100000 Exemplaren. Als Meisterwerk seines umfangreichen Schaffens gilt «Lonny, die Heimatlose», ein Roman, der, wie Verlagsleiter Felix Furrer an der Feier vom Mittwochabend ausführte, «überaus reiche ethnographische Informationen aus dem vergangenen Jahrhundert enthält» und andererseits mit grossem Einfühlungsvermögen die ebenso kontrastreiche wie unversöhnliche Welt des Bauern- und Bürgertums sowie des Jenischen schildert. Zur Kostprobe las er einige Passagen aus der Neuerscheinung vor.

Elisabeth Pfluger liest Dialektpassage aus dem Werk «s’Bäse Nauggi»
An den Feierlichkeiten im ehemaligen Pfarrhaus und jetzigen Pfarreiheim in Kestenholz, wo Joseph Joachim oft Gast war, zeichnete Kurt Bieli, Präsident der Arbeitsgruppe, den Weg zum Gedenkjahr Joseph Joachim auf. Seinen Ausführungen zufolge ist das Hauptanliegen, Leben und Werk des Kestenholzer Dichters weitherum bekanntzumachen.
Sehr vonstatten gekommen sei dabei der Entschluss des Aare-Verlages, einen Teil der Erzählungen neu herauszugeben, führte Bieli vor gut 80 Personen aus, unter denen sich neben Delegationen der Bürger-, Einwohner- und Kirchgemeinde Kestenholz auch sechs von sieben Grosskindern des Dichters befanden.
Elisabeth Pfluger, Solothurner Schriftstellerin und Dichterin, war es Vorbehalten, einen kurzen Abriss über Joachims Biographie zu zelebrieren. In Anlehnung an eine Kennedy-Episode, derzufolge dieser bei einem Berlin-Besuch ausgerufen haben soll «Ich bin ein Berliner», begann Elisabeth Pfluger ihre Ausführungen mit den Worten «Ich bin eine Kestenholzerin — wenigstens zu einem Viertel.» Dann zeichnete sie im nicht ganz lupenreinen Gäuer Dialekt einige Lebensstationen Joachims nach: von seiner Jugend auf dem Bauernhof zur Ehe mit Elisabeth Fuchs, die innerhalb von 21 Jahren 19fache Mutter wurde, über Joachims Flucht nach Amerika und seiner baldigen Rückkehr bis hin zu seiner Tätigkeit als Korrespondent beim «Balsthaler Boten», zu dessen Redaktor er später wurde. Zur Untermauerung der Tatsache, dass sich Joseph Joachim Zeit seines Lebens der Unterdrückten und Minderbemittelten angenommen hat, las Elisabeth Pfluger eine Dialektpassage aus dem Werk «s’Bäse Nauggi».

Dramatisierter Lonny-Stoff
Zum Abschluss der Joachim-Feierstunde, die Gertrud Bürgi (Klavier), Christa Bürgi (Querflöte) und Gustav Bürgi (Gesang) musikalisch ausgeschmückt haben, wandte sich Ammann Florian von Däniken im Namen der Behörde mit Worten des Dankes an die Organisatoren und Gäste. Zu Ehren des 150. Geburtstages von Joachim ist ebenfalls eine Erinnerungsschrift erschienen, verfasst vom Kestenholzer Dorfchroniker Max Studer. Weiter im Joseph-Joachim-Gedenkjahr sind vorgesehen: eine Feier für die Öffentlichkeit, eine Gedenkausstellung und Leseabende im Oktober sowie die Uraufführung des dramatisierten Lonny-Stoffes im November.

Artikel vom 5. April 1984 in der Solothurner Zeitung/Berner Rundschau,Langenthaler Tagblatt

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